Christoph Koelle besuchte das Wochenend-Seminar für Meditationsunterweiser in Bensberg

„Endhaltestelle Bensberg. Draussen glänzt die Sonne und strahlt durch die staubigen Fenster der Straßenbahn. Ich schnappe meinen Rucksack, in dem sich noch ein sauberes Hemd, ein weiteres paar Socken, meine Zahnbürste und der Brief von Sita mit der Einladung zum Meditationsunterweiser-Seminar befindet, und steige aus. Draussen am Bahnhof stehen zwei Zeugen Jehova „Vertreter“, die mit der Broschüre „Wahrheit des Lebens“ und „Gott ist die Antwort“ werben. Einen kurzen Moment schießt ein Gedanke durch meinen Geist: Das große Fragezeichen des Lebens findet sich überall, also auch hier an der Endhaltestelle. Irgendwie sehen die Beiden nicht so aus, als wären sie vom Lebensglück und der Liebe Gottes durchflutet worden. Aber wer weiß? Vielleicht ist der Himmel ja grau. Ich blicke mich um und suche etwas Orientierung. Dann mache ich mich auf den Weg in Richtung Schloss.

Was erwartet mich auf dem Lehrgang? Kann ich wirklich jemandem das Meditieren beibringen, ich, der selbst nach Jahren der Meditation so viele, endlos viele Fragen hat? Mein Gedankenstrom wird immer wieder von dem atemberaubenden Blick über das Rheinland unterbrochen. Dann Wolkentürme, welche sich wie riesige, sich wandelnde Bauwerke der Sonne entgegentürmen. Und das endlose Blau des Himmels! Ich bleibe kurz stehen und atme tief durch, vor mir ist schon das Schloss zu sehen. Im Hotel lege ich meine Sachen aufs Zimmer und ruhe mich eine Weile aus. Hotelzimmer haben immer eine eigenartige Anmutung: Sie geben einem das Gefühl einer Privatspäre, man darf sich kurz zuhause fühlen. Doch trotzdem spürt man, dass der Ort nicht wirklich zu jemandem gehört, er hat keine Indentität, keine wirkliche Seele. Ein kleiner Prospekt, eine Packung Gummibärchen auf dem Bett, der Fernseher als schwarzer Kasten schweigt einen an. Ich öffne die Fenster und lasse die erfrischende, waldige Luft des Schlossgartens ins Zimmer strömen. Dann ziehe ich die Socken aus und lege mich aufs Bett. Es fühlt sich enorm gut an, nach der langen Reise barfuss zu sein. Erst einmal strecken und entspannen. Ich komme hier langsam zur Ruhe und fühle, wie ich ankomme.

Es ist fünf vor sechs, und im Schreiben steht, dass Karl-Ludwig Leiter die Begrüßung um sechs Uhr abends abhalten möchte. Also Schuhe an und los. Ich betrete den Dachstuhl der Tagungsräume. Die meisten Teilnehmer sind schon da, Karl auch. Es ist ein herzliches Wiedersehen, und Karl strahlt mich voller Freude an: „Hey, schön dass du da bist!“ Außer mir sind noch acht andere Teilnehmer im Raum. Die verschiedensten Menschen aus den verschiedensten Welten und Leben, aber alle mit wachen, fragenden Augen. Mir fällt schon zu Beginn auf, dass wohl keiner so richtig weiß, was auf uns zukommt. Mein Nebensitzer und ich scherzen leise ein wenig: „Hoffentlich ist das hier kein Assesement Center!“ „Hast du denn die Seite Soundso von „Wie vor Was“ genau durchgelesen, wie es im Einladungsscheiben stand? Hoffentlich wird das nun nicht abgefragt?!“ „Nene, keine Sorge, der Karl hat selber auch keinen Bock auf so nen Stress!“

Wir stellten uns einander vor, geben uns einen kleinen Einblick in unser Leben. „Warum meditierst du? Was ist deine Geschichte?“ Unglaublich zu hören, wie sich die Meditation als stiller Begleiter wie ein roter Faden durch das Leben der Menschen hier zieht. Bei jedem auf eine ganz andere Art, und es scheint mir, dass jeder es geschafft hat, das Meditieren zu einem natürlichen Bestandteil seines Lebens zu machen. Dann erzählt uns Karl, was wir an diesem Wochenende machen werden. Er erklärt uns in eigenen Worten noch einmal die korrekte Art, einem Menschen die Technik der Meditation näher zu bringen. Daraufhin sollen Rollenspiele beginnen, der Sprung ins kalte Wasser. Die Situation besteht immer aus einem Teilnehmer, der gerne das Meditieren lernen möchte und einem Unterweiser. Der Unterweiser wird aus dem Zimmer geschickt und der Rest der Gruppe überlegt sich gemeinsam einen Charakter, auf den der Unterweiser dann bei der Rückkehr in den Raum treffen wird. Ich finde die Idee des Rollenspiels super und meldete mich sofort. Ich spiele einen strenggläubigen Katholiken, der aber etwas Interesse an der Meditation zeigt. Meine Rolle scheint mir zu liegen, und wie extra vorprogrammiert schießen mir Szenen aus meiner Kindheit in mein Bewußtsein, welche ich sofort in meine Rolle einfließen lasse. Mein Vater war sein Leben lang Organist, und ich mußte als Kind schon etliche Gottesdienste über mich ergehen lassen, von daher war nun der Moment, da etwas produktives aus meinen Kindheitstraumas zu machen. Die Situation scheint mit mir zu sein, denn mitten im Unterweisergespräch beginnen die Kirchturmglocken des Schlosses zu klingen. Meine Unterweiserin schlägt sich wacker. Mit endloser Geduld und auch klarer Richtung macht sie mir klar, dass Meditation meinem „Glaube“ nicht hinzufügt. Meditation ist eine Übung, ein Weg der für jeden möglich ist, egal woher man kommt oder an was man glaubt. Nach einer Weile Diskussion vertraue ich ihrer Gelassenheit und Ruhe. Obwohl ich eine Rolle spiele, bemerke ich, dass ich bereit bin, mich nun zu öffnen und los zu lassen. Wir meditieren noch einen Moment, bevor die Übung dann zu Ende ist.

Im Laufe des Tages kommt es noch zu unzähligen weiteren tollen Begegnungen und abgefahrenen Charakteren. Man könnte tatsächlich alleine darüber ein Buch schreiben. Doch eins wird mir sehr klar: Jeder Unterweiser erklärt die Meditation auf seine eigene Art und Weise, obwohl man doch die gleiche Übung erklärt. Ich spüre, dass jeder auch aus seinem innersten Herzen heraus erklärt. Sie alle erzählen dabei auch die Geschichte ihres eigenen Lebens, ganz direkt und klar spürbar. Wir sind uns alle am Ende des Seminars über eins einig: Wir haben alle Bauchmuskelkater und sind total glücklich, so tolle Momente gemeinsam als Gruppe erlebt zu haben. Die Reise geht weiter, man lernt sich selbst auch besser kennen in dieser direkten Begegnung, die stattfindet, wenn man die Meditationstechnik weitergibt. Es gibt dabei kein Konzept, das man vorher schreiben könnte, keinen Fahrplan, wie es laufen wird. Da ist ein Gegenüber, ein großes Fragezeichen, welches im Raum schwebt, und der große weite Raum. Auch ich habe einmal einen Raum betreten, noch nie meditiert. Komplette Offenheit, der Bleistift berührt das leere Blatt Papier zum ersten Mal. Wie aufregend, wie verrückt! Ich schließe die Augen einen Moment und atme tief aus. Irgendwie kommt genau in diesem Moment ein Satz von Chögyam Trungpa in mein Bewußtsein:

Die schlechte Nachtricht ist:
Wir fallen endlos durch unermeßlichen Raum. Ohne Fallschirm und ohne irgend etwas, an dem wir uns halten könnten.

Die gute Nachricht ist:
Es gibt keinen Boden!

Vielen Dank an Karl und Susanne, die uns das Seminar ermöglicht haben.“